Sebastian „Sibbi“ Hafner – Punkrocker
- Juli 01, 2020
- by
- Till Herwig
Ich habe mich mit Sebastian im Proberaum in der Werner-Siemens-Straße in Göppingen zum Fototermin verabredet. Gleich nach dem Eingang stolpere ich in ein wildes Gestrüpp aus Merchandising-Artikeln, Mobiliar und Equipment. Eigentlich sollte das alles schon längst verladen und auf Tour sein. Corona verändert aber alles. Sibbi ist wie immer witzig, interessiert und freundlich. Ich merke aber auch wie sehr der erzwungene Stillstand an ihm nagt.
Sibbi – Eure Band heißt „Itchy“. Warum?
Ursprünglich hießen wir Itchy Poopzkid. Der Name war völlig sinnfrei. Wir fanden zunächst, er hört sich witzig an, aber bald haben wir gemerkt, dass er ziemlich beschissen ist. Mittlerweile sind wir erwachsen – ich werde demnächst 40 – und da fanden wir den Namen albern. Also wurde halt Itchy draus.
Wie lebt es sich so als Rockstar?
Da gibt es viele Klischees: Sex, Drogen, Kiffen, Alkohol, Groupies. Man denkt, die Leute wohnen in einer Party-WG in Berlin oder London. Tatsächlich leben die meisten völlig unspektakulär. Der Unterschied zum bürgerlichen Dasein liegt vor allem in den Werten, in der Einstellung. Die Szene lebt im “Hier und Jetzt“. Man denkt nicht groß nach über die Zukunft, an die Rente oder daran vielleicht mal eine Familie zu gründen und ein Häusle zu bauen. Man ist unter sich, hat ein gutes Gefühl, möchte Spaß haben und seine Kreativität ausleben.
Schade – nichts mit Sex, Drugs and Rock’n Roll?
Das gibt es schon. Das schaffst du aber nicht auf Dauer oder es schafft dich. Wobei, die Rolling Stones haben es ganz schön lange durchgehalten.
Ich habe einen Bausparvertrag …
Und wie ist es bei Dir?
Ich bin verheiratet, lebe in Eislingen im Haus meines 90-jährigen Opas. Unten wohnen wir, oben mein Opa. Ich habe einen Bausparvertrag (lacht), ein Motorrad und einen Gemüsegarten. Im September bekommen Sarah und ich unser erstes Kind. Ein Mädchen. Wow!
War das schon immer so?
Ich mag diesen Gegensatz. Sind wir auf Tour, dann ist das ein Leben wie auf einer Klassenfahrt. Wir sind den ganzen Tag zusammen: Die Band, die Techniker und Helfer. Wir haben viel Spaß miteinander und sind jeden Tag woanders, in einer anderen Stadt, ein neuer Auftritt, ein neues Publikum. Das ist toll, das ist intensiv. Ich freu mich dann aber auch wieder auf zuhause. Meine Frau, meine Freunde, die Gartenlaube, runterkommen, Rasen mähen, Hecke schneiden, Gurkensalat.
Was sagt Sarah dazu, wenn Du länger weg bist?
Sie wusste ja wen sie heiratet (lacht). Aber im Ernst, diese langen Touren über mehrere Wochen haben wir kaum mehr. Ich bin immer wieder zwischendurch zu Hause. Und Sarah hat auch ihr eigenes Leben. Sie ist Lehrerin. Wir finden es übrigens ganz gut immer mal wieder getrennt zu sein, sich zu vermissen. Bin ich dann zuhause ist es dafür sehr intensiv.
Wir pushen uns gegenseitig.
Was ist so besonders an einem Auftritt?
Wir stehen auf der Bühne, nur mit unseren Instrumenten und unten sind tausende von Menschen. Wenn wir denen sagen: „und jetzt alle springen“, dann springen alle. Wir spielen unsere Songs und die Leute sind völlig aus dem Häuschen. Wir pushen uns gegenseitig. Das ist gewaltig. Das ist großartig. Dafür sind wir unheimlich dankbar. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass wir Menschen mit unserer Musik happy machen können.
Das hört sich so leicht an.
Auftritte mit der Band sind Hochleistungssport. Bei einem Konzert verausgaben wir uns total. Und zwar mental und körperlich. Danach sind wir jedes Mal fix und fertig.
Erlebst Du manchmal sowas wie Starkult?
Nur ganz selten. Früher, als es den Sender noch gab und wir regelmäßig auf MTV zu sehen waren, da gab es das schon. Plötzlich steht jemand vor dir, starrt dich an und bekommt kein Wort raus. Die Macht des Fernsehens ist enorm. Es schafft eine scheinbare Nähe, die tatsächlich eher entfremdet. Fan-Starre ist mir total unangenehm. Wir nehmen uns alle nicht so ernst. Wir sind halt die netten Jungs von nebenan. Vielleicht machen wir uns damit manchmal kleiner als wir sind. Aber so sind wir eben.
Ich wollte immer Schlagzeug spielen …
Wie bist Du zur Musik gekommen?
Mit sieben Jahren habe ich angefangen Akkordeon zu spielen. Musikantenstadl und so. Meine damalige Klassenlehrerin, Frau Pietrass hat mich beeindruckt. Die konnte richtig gut spielen. In der Jugendmusikschule hatte ich Unterricht, einmal die Woche. Mein Musikgeschmack hat sich aber schon bald geändert. Mit zehn bekam ich meine erste E-Gitarre. Ich wollte zwar immer Schlagzeug spielen, aber das wäre für meine Eltern zu viel Krach gewesen. Eine E-Gitarre kann aber auch ganz schön laut sein und so war ich zufrieden (lacht). Der Vater eines guten Freundes nahm uns mit auf Konzerte von AC/DC, Iron Maiden, Metallica und so weiter. Bei AC/DC stand ich mit 13 Jahren in der ersten Reihe, ich bin vor Aufregung fast erstickt.
Was hat Dich so fasziniert?
Diese Kraft. Diese Energie. Das Laute. Wahnsinn. Das wollte ich auch machen. Unbedingt.
Unser erstes Konzert wurde von der Polizei beendet.
Wie ging es dann weiter?
Schon als Jugendlicher habe ich mit meinem besten Freund Daniel zuhause im Keller Musik gemacht. Ich als Gitarrist und Daniel am Bass. Gesungen haben wir beide. Dazu kam Tobias Danne, ein Mega-Drummer. Der war erst 13 damals. Der durfte nur zum Auftritt, wenn seine Mutter dabei war. Unser erstes Konzert gaben wir als Schülerband im Jugendhaus in Salach. Das wurde von der Polizei beendet. Was für ein Erfolg!
Sag mal bitte was zur Band
Neben mir ist das Daniel Friedl, unser Bassist. Er stammt ebenfalls aus Eislingen. Wir haben uns kennengelernt, da waren wir sechs. Dazu kommt Max Zimmer am Schlagzeug. Er ist seit 2011 dabei. Wir machen nicht nur zusammen Musik, wir sind auch gute Freunde. Ein paar Jahre nach dem Abi, so mit Anfang zwanzig wurde alles professioneller. Wir hatten unseren ersten Manager, regelmäßig Konzerte und eine eigene Live-Crew. 2005 bekamen wir unseren ersten Plattenvertrag. Seitdem können wir auch von unserer Musik leben. Vorher mussten wir mit Nebenjobs immer noch was dazu verdienen.
Ich habe – gefühlt – noch nie in meinem Leben gearbeitet.
Wie verdient ihr euer Geld?
Konzerte machen ungefähr 50% aus. Dazu kommen Erträge von den Streamingdiensten, von der GEMA und dem Merchandising. Wir sind ja keine Superstars. Aber trotzdem kommen wir gut zurecht. Ob das jetzt im ROXY ist in Ulm oder im LKA in Stuttgart, in Hamburg, Köln oder Berlin – es kommen so 1.000 bis 1.500 Leute. Auf den Festivals können es auch schon mal mehrere 10.000 sein. Wir haben ein gutes Auskommen. Und das Allerbeste ist: Wir verdienen unser Geld mit dem was wir am liebsten machen. Das ist keine Arbeit für mich, das ist pure Leidenschaft. Ich habe – gefühlt – noch nie in meinem Leben gearbeitet.
Daneben engagiert ihr euch im Umweltschutz
Als Band wird man ständig gefragt ob man sich nicht für dies oder das engagieren möchte. Und wir setzen unsere bescheidene Popularität sehr gerne für gute, wichtige und nachhaltige Projekte ein. Wir haben aber festgestellt, dass es effektiver ist sich auf ein Thema zu konzentrieren um sich nicht zu verzetteln. Und das ist bei uns seit bald 10 Jahren der Umweltschutz. Wir haben schon einige große Kooperationen mit NGOs auf die Beine gestellt, für den Schutz von Meeressäugern und auch gegen die Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll. Wir haben extra Musikvideos zu diesen Themen gedreht und haben gegen die Öl-Industrie ein illegales Spontankonzert vor dem Brandenburger Tor gespielt. Damit konnten wir tatsächlich auch einiges bewirken. Durch solche Aktionen unsere Fans für wichtige Themen zu sensibilisieren, das ist uns ein großes Anliegen.
Alle stehen komplett blank da.
Und jetzt: Corona.
Ja, das ist wirklich krass. Die Corona-Pandemie entzieht uns komplett die Lebensgrundlage. Wir hatten im Februar gerade unser neues Album veröffentlicht: Ja als ob. Noch dazu unser erstes deutschsprachiges. Damit wollten wir auf Tour gehen. Die Hallen waren gut ausgebucht. 5 Tage vor dem Tour-Start kam der Lockdown. Seitdem geht gar nichts mehr. Und zwar nicht nur für uns als Band. Auch unsere ganze Crew, die Techniker, die Clubs. Alle stehen komplett blank da.
Was glaubst Du, wann geht es wieder weiter? Und wie?
Ich bin da ziemlich skeptisch. 1.000 verschwitzte Leute in einer Halle, alle eng beieinander. Es wird getanzt, gesungen und geschrien. Ich bin mir sicher, wir Rockbands werden die letzten sein, die wieder auftreten dürfen. Keine Ahnung wann das sein wird. Ich fürchte, es könnte noch lange dauern. Und selbst dann weiß ich nicht, ob es wieder so wird wie vorher. Vielleicht läuft alles erst ganz langsam wieder an oder die Leute fragen sich, muss ich überhaupt so oft auf Konzerte gehen? In der Corona-Zeit ging es ja auch ohne.
Musik ist mein Leben.
Was bedeutet das für dich persönlich?
Es erinnert mich an eine Erkrankung vor 3 Jahren. Nach einer Operation hatte ich einen Stimmverlust. Keiner wusste warum. Einfach weg. Mitte des Jahres, kurz vor der Festivalsaison. Ich bin von einem Arzt zum andern. Keiner konnte mir helfen. Das war schlimm. In meiner Verzweiflung bin ich sogar zu einem Hypnotiseur. Ich weiß nicht warum, aber irgendwann kam die Stimme nach und nach wieder. Da hatte ich noch mal Glück gehabt. Ich merke auch jetzt wieder, wie elementar für mich meine Musik ist. Das ist mein Leben. Ich vermisse das alles sehr. Und gleichzeitig spüre ich ganz viel Kreativität in mir. Die will raus. Deswegen arbeite ich gerade an einem Solo-Projekt. Das fühlt sich vielversprechend an, das hätte ich ohne die Krise vielleicht nicht gewagt.
Text: Till Herwig.
Photos: Heiko Hermann, Steffen Neumeister (Gitarrenkoffer-Surfen), Ilkay Karakurt (Bandfoto), Max Heiden (Open Air von hinten).
© Copyright 2020 (Till Herwig)
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6 Kommentare
Peter Stahlecker
4th Jul 2020 - 9:05Ich finde auch diesen Beitrag sehr gelungen! Auch sind die Bilder diesmal einfach super!
Es gibt offenbar viele interessante Lebensgestaltungen in unserer Gegend – und Till findet sie immer wieder!
Till, mach‘ weiter so!
Marcus Zecha
28th Jul 2020 - 12:27Sehr gelungenes Interview! Kurze, knackige Fragen, reflektierte Antworten, keine 08/15-Phrasen. Klasse!
Marcus Zecha
28th Jul 2020 - 12:57Klasse Interview: Knackige Fragen, reflektierte Antworten, keine 08/15-Floskeln. Hab ich mit Genuss gelesen.
Karola
3rd Jul 2020 - 20:28Vielen Dank! Ein sehr schönes Interwiev. Und wie schön, dass es Menschen gibt die so viel Spaß bei der „Arbeit“ haben!! 🙂 sollten wir alle auch mal versuchen.
micha Haide
2nd Jul 2020 - 15:37Lieber Till !
Wie eigentlich immer : voll ins Schwarze getroffen und ebenfalls wie immer : Intelligente Fragen bekommen intelligente Antworten ! Toll !! –
Das besondere an diesem Portrait ist diesmal : ich kann „mitschwätzen“ – weil leider ein Detail nicht hervorgehoben werden kann ( wie auch !? ) – Dieser Sibbi ist nicht nur der sympathische, nette Kerl aus Eislingen, sondern ( und ich darf das glaub ich) , sagen : Ein unfassbar toller Mensch und Freund ! Und ich denke, nicht nur ICH bin dankbar so einen prima Kerl als Freund zu haben !
Auf jeden Fall ist es Dir mal wieder gelungen, lieber Till, – genau wesentlichen Eigenschaften und Charakterzüge eines Menschen auf den Punkt genau zu beschreiben ..- vor allem zwischen den Zeilen…
herrlich zu lesen… immer wieder. ..
Uwe
2nd Jul 2020 - 19:48Micha hat, wie immer, vollkommen und total in allem Recht! 👍🏻